Wer da nicht fast heulen muss, also bitte
Anke Engelke, VIEW Magazin, April-Ausgabe 2021.
Ein elegant gekleideter Muskelmann macht Liegestütze vor einem aufgebahrten Sarg im Kapitol, – ich weiß gar nicht, ob mich dieses Bild auch so umgehauen hätte, wenn ich die Geschichte dahinter nicht gekannt hätte. Drei Liegestütze machten aus einer Geschäftsbeziehung für ein paar Sekunden eine Liebesgeschichte. Der Mann ist Bryant Johnson, der Fitnesstrainer von Ruth Bader Ginsburg, und er nimmt hier Abschied von ihr, und wer da nicht auch fast heulen muss, also bitte.
Ruth Bader Ginsburg ist eine der Frauen, die ich wegen ihrer Begabungen und ihrer Strahlkraft heimlich ein bisschen anhimmele, weil sie wie Leuchttürme Licht geben in seltsam düsteren Momenten: wie Blossom Dearie zum Beispiel und Aretha Franklin und Joan Didion. Kühne, inspirierende Frauen. Es ist so beeindruckend, wie klug und hartnäckig Ruth Bader Ginsburg erst als Juristin, als Rechtsprofessorin, als Anwältin und dann in den letzten 27 Jahren als Verfassungsrichterin am Supreme Court gegen Geschlechterdiskriminierung und für Gleichberechtigung gekämpft hat, wie unbeirrbar sie als junge Mutter nicht nur ihr eigenes Studium wuppte, sondern gleichzeitig nachts das ihres erkrankten Mannes Marty. 1999, nach ihrer ersten Krebserkrankung, riet Marty seiner Frau, ihren Körper zu stärken. Da war sie 66. Bryant Johnson trainierte fortan zweimal wöchentlich mit ihr. Sie redeten kaum, oft war sie erschöpft von langen harten Arbeitstagen, aber sie führte seine Übungen aus, ohne zu murren. Liegestütze waren ihre Lieblingsübung, sagt Bryant Johnson.